Tuesday, April 19, 2005

Der interreligiöse Dialog als Aufgabe einer angewandten Religionswissenschaft

Der interreligiöse Dialog als Aufgabe einer angewandten Religionswissenschaft

Diesen Vortrag hielt ich im September 2003 auf der Tagung der Deutschen Vereinigung für Religionsgeschichte (DVRG) in Erfurt innerhalb des von Prof. Dr. Hubert Seiwert geleiteten Panels Angewandte Religionswissenschaft. Leider gab es keinen Tagungsband und auch keine Sonderveröffentlichung dieses Panels, so dass ich meinen Text vorerst hier veröffentliche. Da die Fußnoten hier nicht korrekt wiedergegeben werden können, habe ich sie mit Fn in Klammern hinter der jeweiligen Stelle gekennzeichnet und unter den Text als Endnoten gestellt.

Vorausabstract:

In religionswissenschaftlichen Kreisen wird der interreligiöse Dialog meistens als eine Angelegenheit der Theologie und ein religionswissenschaftliches Engagement darin als dem wertneutralen Selbstverständnis des Faches abträglich betrachtet. Die Religionswissenschaft könne und dürfe sich dem interreligiösen Dialog nur widmen, indem sie ihn zu einem Forschungsobjekt mache, aber keinesfalls dürfe sie sich aktiv und normativ daran beteiligen, heißt es oft.
Dieser Vortrag vertritt eine andere Auffassung und versucht sinnvolle Argumente für eine Beteiligung der Religionswissenschaft am interreligiösen Dialog zusammenzutragen. Religionswissenschaft wird, wie Wissenschaft im Allgemeinen, als der Gesellschaft verantwortlich beurteilt, was eine letztliche Wertfreiheit ausschließt. Der interreligiöse Dialog wird als eine Angelegenheit bewertet, die keinesfalls nur die offiziellen Vertreter religiöser Institutionen, ja auch noch nicht mal nur religiös gläubige Menschen angeht, sondern als eine gesellschaftliche Aufgabe, die notwendig ist, um ein friedliches Miteinanderleben von Menschen und Subgesellschaften in der globalen, multikulturellen und pluralistischen Weltgesellschaft zu ermöglichen. Da nun im interreligiösen Dialog, ähnlich wie in der politischen Diplomatie, Interessengruppen aufeinanderstoßen, sind Apologetik und Polemik ebenso anzutreffen, wie verstehenwollendes Zuhören. Gerade weil die Religionswissenschaft unabhängig von den religiösen Institutionen ist, kann sie hier korrigierend eingreifen, und unter methodischem Verzicht auf metaphysische Wahrheitsbehauptungen den Bereich des Diesseitig-Menschlichen zu seinem Recht kommen lassen und Ergebnisse aus religionsgeschichtlichen, -soziologischen und -psychologischen Forschungen moderierend und vermittelnd ins Gespräch einbringen. Es geht also gerade nicht darum, eine religiöse Partei im Dialog zu vertreten, sondern die Funktion der Moderation, Mediation und der unparteiischen Begutachtung zu übernehmen. Partei ergreifen darf und soll die Religionswissenschaft aber sehr wohl für eine Vision einer friedlichen und pluralistischen Gesellschaft und einer ehrlichen und selbstkritischen Gesprächskultur, die auch Grundlagen ihrer eigenen Existenz sind. Dieser Vortrag vertritt also sehr wohl die Utopien des Projektes Weltethos von Hans Küng oder der World Conference on Religion and Peace und beklagt zugleich, dass Religionswissenschaftler(innen) in diesen und ähnlichen Projekten zu wenig vertreten sind. Peter Antes, Mitbegründer des Vereins zur Förderung der Begegnung der Weltreligionen und des interkulturellen Gesprächs e.V., Michael von Brück, der die leider wieder eingestellte Zeitschrift Dialog der Religionen mit heraus gegeben hat, und Norbert Klaes, der eine Zeit lang Präsident von WCRP Europa war, sind aber gute Beispiele von namhaften Religionswissenschaftlern, die sich als solche im interreligiösen Dialog betätigen, ohne die Religionswissenschaft dadurch zu einer Pseudotheologie werden zu lassen.

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Volltext:

Als ich 1993 begann, Religionswissenschaft zu studieren, begleitete und motivierte mich bereits die Idee, dass ein Dialog der Religionen einen wesentlichen Beitrag für das friedliche Miteinanderleben der Menschen leisten könne. Die Religionswissenschaft schien mir die Wissenschaft zu sein, die noch besser als die Theologie diesem Dialog dienen könne, da Theologen die Dinge zu sehr aus der mehr oder weniger engen Perspektive ihrer je eigenen Religion her betrachteten, während die Religionswissenschaft fähig zu sein schien, das ganze Panorama unvoreingenommen im Blick zu haben.

Und doch lernte ich so ziemlich als aller erstes, dass der interreligiöse Dialog keine Angelegenheit der Religionswissenschaft sei, denn welche Partei im Dialog sollte die Religionswissenschaft denn vertreten, da es doch ihr Anspruch war, sich aus der Beurteilung religiöser Wahrheitsansprüche heraus zu halten, und im Dialog gehe es doch um religiöse Wahrheitsansprüche. Die Religionswissenschaft könne den interreligiösen Dialog wissenschaftlich untersuchen, aber sich nicht daran beteiligen. Das leuchtete mir zunächst ein, und doch wich die alte Idee, die mich ja eigentlich in die Religionswissenschaft hinein getrieben hatte, nicht ganz von mir.

Dass religiöse Wahrheitsansprüche, zumal wenn sie sich auf metaphysische, transzendente Themen beziehen, außerhalb der methodischen Überprüfbarkeit der Religionswissenschaft stehen, ist eine Grundmaxime unseres Faches, die ich hier nicht hinterfragen möchte. Weniger eindeutig aber scheint mir die Frage nach der Wertfreiheit oder Wertneutralität beantwortet, denn erstens bewegt sich die Religionswissenschaft wie jede Wissenschaft in gesellschaftlichen Rahmenbedingungen, die wiederum Folgen vorausgehender Wertsetzungen sind (das berührt Fragen der Hochschul- und Bildungsideale, der Wirtschaftlichkeit und Finanzierung, der Politik im Allgemeinen, usw.), und zweitens unterliegen auch wissenschaftliche Methoden ethischen Wertsetzungen (das berührt Fragen nach dem Umgang mit Forschungsobjekten, zumal wenn diese Menschen, also Subjekte mit Rechten und Würde sind, aber auch nach den Folgen von Erkenntnisveröffentlichungen auf nachfolgende Wertediskussionen usw.). Die Religionswissenschaft steht also genau so wenig wie irgend eine andere Wissenschaft in einem wertfreien Raum.

Dass der interreligiöse Dialog keineswegs nur eine Angelegenheit der Theologen und sonstigen Religionsvertreter ist, erlebte ich eindrücklich im Juli dieses Jahres auf der Tagung Projekt interreligiöses Europa in Graz.(Fn1) Dort wurden Projekte zum interreligiösen Zusammenleben in unserer europäischen Gesellschaft vorgestellt, und zwar von Politikern, Polizisten, Filmemachern, Lehrern und Schülern, und natürlich von Theologen.
Und im letzten Jahr erschien ein Buch mit Reden unseres Bundespräsidenten Johannes Rau mit dem Titel Dialog der Kulturen – Kultur des Dialogs, Toleranz statt Beliebigkeit,(Fn2) in dem er aus seiner Perspektive als Staatsoberhaupt immer wieder auf die Notwendigkeit des interkulturellen und interreligiösen Dialoges hinweist. So ist der interreligiöse Dialog nicht nur eine religiöse, sondern auch eine politische Angelegenheit. So gesehen erhebt sich nicht nur die Frage, ob man sich als Religionswissenschaftler religiös, sondern ob man sich politisch betätigen darf oder soll.

Wenn ich als Religionswissenschaftler mir meiner Verantwortung dafür bewusst werde, welche Fragen ich stelle und wie ich die Fragen beantworten möchte und auch wem ich mit den Antworten, die ich finde letztlich dienen möchte, dann kommt mir auch die Frage, ob meine Arbeit einen Einfluss auf das Miteinanderleben der Menschen haben kann, und wenn ja, welchen sie haben sollte und welchen nicht. Wenn ich diese Fragen beantworten möchte, bin ich mittendrin in Wertsetzungen, denke also normativ und nicht mehr rein deskriptiv.

Der Einfluss eines einzelnen Wissenschaftlers mag gering sein, und doch hat sich unsere Gesellschaft durch den Einfluss der Wissenschaften seit der Renaissance und dann der Aufklärung entscheidend gewandelt, bis hin zu der pluralistischen, individualistischen Gesellschaft der Wahlzwänge unserer Zeit. Die Wissenschaften hatten so auch entscheidenden Einfluss auf das religiöse Leben der Menschen. Liberale und fundamentalistische Theologie wären ohne die Auseinandersetzungen gläubiger Menschen mit den Wissenschaften nicht entstanden.

Wissenschaftler haben nun die Wahl, diese Auswirkungen, die ihre Arbeit auf die Gesellschaft hat, als ihre Mitverantwortung wahr- und anzunehmen oder aber die Verantwortung ganz und gar den Rezipienten wissenschaftlicher Arbeit aufzubürden. So kann zum Beispiel ein Biologe reine Grundlagenforschung betreiben, sei es als Anatom, als Biochemiker, als Verhaltensforscher oder als Ökologe, seine Ergebnisse oder die des Faches allgemein veröffentlichen und der Frage, wer welche Konsequenzen aus der Rezeption der Forschungsergebnisse und Theorien zieht, gänzlich gleichgültig gegenüber stehen. Er kann aber auch gezielt für ein bestimmtes Publikum arbeiten, sei es die Pharmaindustrie, die Landwirtschaft, die Fernsehzuschauer, die Umweltschutzbewegung usw.. So kann auch ein Religionswissenschaftler seine Ergebnisse ohne einen Gedanken an gesellschaftliche Konsequenzen veröffentlichen oder gezielt für eine Enquete-Kommission, eine kommunalpolitische Verwaltung, den Verfassungsschutz, die Dialog- und Ökumenebewegung usw. arbeiten. Hat ein Wissenschaftler ein Zielpublikum vor Augen, besteht noch ein Unterschied darin, ob er von diesem bezahlt wird oder nicht, ob er einen Auftrag annimmt oder sein eigener Auftraggeber ist, ob er beim Zielpublikum beliebt ist oder dieses erst für sich und seine Arbeit gewinnen will.

Innerhalb dieses Szenarios sehe ich nun keinen Grund dafür, warum ein Religionswissenschaftler seine Arbeit nicht in den Dienst des interreligiösen Dialoges stellen sollte. Es besteht nun nur noch die Frage, wie er das tun soll und was er berücksichtigen muss.

Wissenschaft besteht aus Forschung und Lehre. Forschung besteht aus Fragestellung und methodisch disziplinierter Weise, die Fragen zu beantworten. Lehre besteht daraus, Forschungsergebnisse, Methoden, Theorien und Perspektiven des Faches den Mitmenschen beizubringen. Rezipienten der Lehre sind Schüler und Studenten, aber auch die Öffentlichkeit und alle Institutionen in der Gesellschaft, so auch die Religionsgemeinschaften und ihre Institutionen und religiöse Individuen.

In der Forschung besteht die Möglichkeit, sich gezielt solcher Fragestellungen anzunehmen, die im Dialog wichtig sind. Dabei sind selbstverständlich rein theologische Fragen für die religionswissenschaftliche Forschung auszuklammern, aber ansonsten bieten sich alle Fragestellungen an, über die diskutiert wird: Fragen der Religionsgeschichte, auch der Theologiegeschichte, Fragen nach Zusammenhängen zwischen religiösen und sonstigen kulturellen oder gesellschaftlichen Faktoren, zum Beispiel nach sozialen Bedingungen, in denen religiöse Menschen leben, Fragen nach dem psychischen Erleben und Verhalten religiöser Menschen und allgemein Fragen nach Gemeinsamkeiten und Unterschieden zwischen den Religionen. Es sind also die ganz normalen Fragen, mit denen sich die Religionswissenschaft ohnehin beschäftigt.
Der Unterschied zur sogenannten interessefreien Grundlagenforschung besteht darin, dass hier gezielt nach den Gesprächsthemen und so auch nach den Streitpunkten der Dialogpartner gefragt wird.

In der Lehre besteht die Möglichkeit, die Forschungsergebnisse gezielt so zu formulieren, dass die gewünschten Adressaten, eben die Teilnehmer des interreligiösen Dialoges, sie verstehen und in ihre Weltbilder einbauen können. Gerade um dies zu bewerkstelligen, kommt eine weitere Qualität hinzu, die sich Religionswissenschaftler im Laufe ihres Studiums und ihrer Berufspraxis aneignen können, nämlich die, sich in die einzelnen unterschiedlichen religiösen Mentalitäten hineindenken und hineinfühlen zu können, auch wenn dies keine wissenschaftlichen Qualitäten sind, sondern allgemein menschliche, die aber gerade in Verbindung mit dem durch die Wissenschaft erworbenen Fachwissen zu einer sehr nützlichen interreligiösen und interkulturellen Kompetenz werden können. Ein Teil dieser Kompetenz kann dadurch entstehen, dass man bei der Erforschung vor allem von lebenden Religionen seine Forschungsergebnisse mit Vertretern der erforschten Religionen diskutiert. (Fn3) Denn damit führt man einen Dialog zwischen Wissenschaft und Religion und lernt auf diese Weise die Denkmuster der betreffenden Religionsvertreter kennen. Das ist oft ein anstrengendes, ja sogar stressiges Unterfangen, denn die Denkweisen können da sehr weit auseinandergehen, und man kann schon sehr genervt werden von dem Gefühl, der Andere verstehe überhaupt nicht, worauf man hinaus will und warum man diese Frage stellt und die Sache so und nicht anders darstellen möchte. Oder man kommt zu großen Zweifeln bezüglich der eigenen Fähigkeit, die Religion, die man erforscht, überhaupt zu verstehen, wenn einem dieses Unverständnis von ihren Vertretern andauernd unter die Nase gehalten wird. Jedenfalls lernt man dadurch, dass man die meisten Sachverhalte von sehr verschiedenen Seiten betrachten und beurteilen kann ohne zu einem letztgültigen Urteil über sie zu kommen, ein Wissen, das im Dialog von nicht zu unterschätzendem Wert ist. Denn daraus kann die Fähigkeit der Selbstrelativierung erwachsen, und gerade daran hapert es nicht selten.

Ist man also als Religionswissenschaftler auf diese Weise mit interkultureller Sach- und Verstehenskompetenz ausgestattet, kann man das Wagnis versuchen, die Streitfragen zwischen den Vertretern verschiedener Religionen, aber auch zwischen diesen und Vertretern säkularer Institutionen oder Lebensweisen zu klären.

Es ergibt sich nun aber die Frage, aus welcher Perspektive heraus ein Religionswissenschaftler in den Dialog einsteigen soll. Es geht jetzt nämlich nur zum Teil darum, wissenschaftliche Perspektiven gegenüber religiösen einzunehmen, sondern auch darum, religiöse Perspektiven Nichtvertretern derselben verständlich zu machen. Aus diesem Satz ergibt sich, dass ich unter interreligiösem Dialog nicht nur den Dialog zwischen Vertretern verschiedener religiöser Parteien meine, sondern auch den zwischen religiösen und säkularen Standpunkten. Desweiteren verstehe ich darunter auch den Dialog, der innerhalb von Religionsgemeinschaften zwischen ihren Mitgliedern geführt wird und sogar das Selbstgespräch eines Menschen mit sich selbst in der Auseinandersetzung mit anderen religiösen oder säkularen Lehren, also das, was Raimon Panikkar als intrareligiösen Dialog bezeichnet. (Fn4)

Religionswissenschaftler können sich grundsätzlich auf drei verschiedenen Perspektiven am interreligiösen Dialog beteiligen:
1.) Der Religionswissenschaftler bringt seine eigene Religiosität mit ins Spiel und nutzt o.g. Kompetenzen aus, die verschiedenen Perspektiven zu verstehen, seine eigene dem Verstehenshorizont der Gesprächspartner anzupassen und sie zu relativieren, und sowohl die eigene, als auch die Religiositäten der Anderen zugleich aus wissenschaftlicher Perspektive zu betrachten. Damit wäre der Religionswissenschaftler eigentlich ein religiöser Dialogpartner, der zugleich Religionswissenschaftler ist. Bei dieser Position kann man dann noch unterscheiden, ob er zugleich eine Religionsgemeinschaft vertritt oder nur seine individuelle Religiosität.
2.) Der Religionswissenschaftler läßt seine eigene Religiosität mit Absicht außen vor und tritt als neutraler Berichterstatter, Moderator, Mediator und/oder Dolmetscher auf.(Fn5) Das erfordert die Disziplin, sich mit eigenen religiösen, theologischen oder religionsphilosophischen Meinungen zurück zu halten, aber diese lernt man im Laufe des religionswissenschaftlichen Studiums ja von Anfang an.
3.) Der Religionswissenschaftler vertritt zwar nicht die Perspektive einer Religion, aber die einer säkularen Institution, zum Beispiel die des Staates oder seiner Verfassung oder die eines Wirtschaftsunternehmens, einer Bürgerinitiative, einer politischen Partei oder eines Vereines.

Die zweite Option ist die, die am reinsten eine religionswissenschaftliche zu nennen ist. Für welche man sich auch entscheidet, so sind zwei Dinge unabdingbar wichtig.
1. Man muss seine Perspektive den Gesprächspartnern offen legen.
2. Die Gesprächspartner müssen diese akzeptieren.

Letzteres ist gar nicht immer so einfach, aber dennoch möglich, wie einige Vertreter unseres Faches schon bewiesen haben.

Bespiele:

Peter Antes:
Peter Antes ist Mitbegründer des Vereins zur Förderung der Begegnung der Weltreligionen und des interkulturellen Gesprächs e. V.(Fn6) Er versteht seine spezifisch religionswissenschaftliche Aufgabe darin, für die religiös gebundenen Gesprächspartner ein Mediator und Simultandolmetscher zu sein. Die Dolmetscherfunktion meint hier nicht die zwischen Sprachen wie Deutsch oder Arabisch, sondern zwischen religiösen Sprachebenen mit ihren jeweils spezifischen Eigenheiten, die oft Quellen der Mißverständnisse sind. Seine eigene religiöse Überzeugung lässt er dabei, wie bei der religionswissenschaftlichen Forschung, außen vor, und das wird von den anderen Dialogpartnern anerkannt und akzeptiert. Er ist dabei durchaus der Meinung, dass es, sofern der Religionswissenschaftler sich in einem staatlichen Anstellungsverhältnis befindet, zum Beispiel als Dozent an einer staatlichen Universität, seine Pflicht sei, für die Grundordnung des Staates, für den er arbeitet, einzutreten. Und das könne er zum Beispiel tun, indem er im interreligiösen Dialog für das friedliche Zusammenleben der Menschen unterschiedlicher religiöser Überzeugungen in eben diesem Staat arbeitet.(Fn7)

Norbert Klaes:
Norbert Klaes, ebenfalls Mitglied des Vereins zur Förderung der Begegnung der Weltreligionen und des interkulturellen Gesprächs e. V., war einige Jahre lang Vorsitzender der World Conference on Religion and Peace (WCRP) Europa.(Fn8) Er nimmt am interreligiösen Dialog nicht in erster Linie als Religionswissenschaftler teil, sondern als europäischer Christ, der aber eben durch sein religionswissenschaftliches Fachwissen über die Religionen in besonderer Weise dazu befähigt ist. Als spezifisch religionswissenschaftlichen Beitrag sieht auch er die Mediatoren- und Dolmetscherfunktion.(Fn9)

Michael von Brück:
Michael von Brück schafft es, gleich auf mehreren Ebenen am interreligiösen Dialog teilzunehmen. Er ist Religionswissenschaftler, evangelischer Theologe und Zen- und Yoga-Lehrer. Er war Mitherausgeber der Zeitschrift Dialog der Religionen, die aus wirtschaftlichen Gründen leider eingestellt wurde(Fn10) , er bringt immer wieder Vertreter verschiedener Religionen miteinander ins Gespräch und stellt auch seine wissenschaftliche Erforschung zum Beispiel des buddhistisch-christlichen Dialogs in dem zusammen mit Whalen Lai verfassten Buch Buddhismus und Christentum(Fn11) in den Dienst der gegenseitigen Verständigung.(Fn12)

Udo Tworuschka:
Udo Tworuschka propagiert eine angewandte oder praktische Religionswissenschaft, die zum Beispiel gewaltbereite, fanatische Religiosität nicht einfach wertneutral beschreibt, sondern ihr gegenüber wertend Stellung bezieht, und sich die Mühe macht, interreligiöse Streitpunkte, zum Beispiel die von Juden, Christen und Muslimen umkämpfte Stadt Jerusalem, so zu beschreiben, dass die verschiedenen religiösen Bedeutungen deutlich werden und ein gegenseitiges Verständnis der streitenden Parteien möglich wird. Er appelliert an die in den Religionen vorhandenen Fähigkeiten zur Toleranz, damit man sich in dem Wunsch nach einem friedlichen Zusammenleben nicht allein auf säkulare Werte berufen muss und sieht sich in seinem Ansatz von Johann Gottfried Herder und von Gustav Mensching inspiriert. Zusammen mit dem evangelischen Theologen Reinhard Kirste gründete und leitet er die Interreligiöse Arbeitsstelle INTR°A, die die Schriftenreihe Religionen im Gespräch heraus gibt.(Fn13)

Wolfgang Gantke:
Wolfgang Gantke vertritt eine Religionswissenschaft, die gegenüber philosophischen Fragestellungen und Fragen nach der Transzendenz offen bleibt, aber gerade ohne den Anspruch, diese mit religionswissenschaftlichen Methoden letztlich beantworten zu können. Es geht ihm um ein Ernstnehmen der religiösen Subjekte als Gesprächspartner, ohne sie und ihre Glaubensinhalte vorschnell auf historische, soziale, psychische und allgemein kulturelle Fakten zu reduzieren. Und es geht ihm darum, die Grenze zwischen Verfügbarem und Unverfügbarem auch den zu apodiktischen Formulierungen neigenden Gesprächspartnern bewußt zu machen und sie vom Prinzip der offenen Frage zu überzeugen, das eben keine letztgültigen Antworten zulässt, sondern die Notwendigkeit einer Transzendierung jeder Formulierung auf ein sich jeder Formulierbarkeit stets entziehendes Geheimnis hin unterstreicht.(Fn14)

Ich danke allen genannten Herren für ihre Gedanken und Hinweise, die sie mir mündlich oder per Post oder E-Mail haben zukommen lassen und bitte um Entschuldigung, dass ich nicht alle Religionswissenschaftler genannt habe, die in Vergangenheit und Gegenwart im interreligiösen Dialog auf die eine oder andere Weise tätig waren oder sind. Zum Beispiel haben sich während der DVRG-Tagung in Erfurt während der Podiumsdiskussion im Rathaus auch Hans-G. Kippenberg und Michael Pye im Sinne Peter Antes geäußert. Ersterer betonte die Wichtigkeit, religionswissenschaftliche Forschungsergebnisse in die innerreligionsgemeinschaftlichen Diskurse einzubringen, damit diese sich enrsthaft mit bestehenden Problemen, zum Beispiel der oft geleugneten Gewalt im Buddhismus, annehmen, und letzterer erwähnte einen Dialog zwischen der Römisch-Katholischen Kirche und der Tenrikyo, der dank religionswissenschaftlicher Moderation ein Erfolg gewesen sei.

Man muss aber eines bedenken: Die Rechtfertigung eines religionswissenschaftlichen Engagements im interreligiösen Dialog ergeben sich nicht aus den wissenschaftlichen Methoden des Faches, sondern aus dessen gesellschaftlichen Rahmenbedingungen oder noch exakter formuliert, aus den Lebensbedingungen und daraus resultierenden gesellschaftlichen Verpflichtung der Menschen, die Religionswissenschaft betreiben. Subjekt des Engagements ist also nie die Religionswissenschaft, sondern sind Religionswissenschaftler und Religionswissenschaftlerinnen(Fn15) , die eben keine theoretischen Gebilde, sondern Lebewesen aus Fleisch und Blut sind. Daraus ergibt sich auch, dass die Verpflichtung nicht jeden gleichermaßen betrifft, da nicht jeder in den gleichen Rahmenbedingungen lebt und seiner Arbeit nachgeht. Letztlich sind Religionswissenschaftler nicht mehr zur Friedensarbeit verpflichtet als andere Menschen auch, aber auch nicht weniger, und unsere berufsbedingte Möglichkeit, Friedensarbeit zu leisten, liegt eben in Themenbereichen, die mit Religion und Religionen zu tun haben, wovon der interreligiöse Dialog in der hier beschriebenen Weise ein naheliegendes ist.(Fn16)

Ich selbst versuche von all diesen Ansätzen zu lernen. Es hängt meines Erachtens sehr vom Gesprächskontext und den Gesprächspartnern ab, wie sehr man seine eigene religiöse Identität zurückstellen oder aber vielleicht eher offenlegen darf oder gar soll. Ich bin stellvertretender Leiter von WCRP Köln/Bonn(Fn17) , und in unseren kleinen interreligiösen Gesprächskreisen, in denen man sich kennt, und auch die Identität der Religionswissenschaft den Teilnehmern bekannt ist, kann ich eher mal meine eigenen religiösen Überzeugungen äußern, als wenn ich vor mir fremden Menschen explizit als Religionswissenschaftler auftrete. Wenn ich aber einen öffentlichen Vortrag zum Beispiel über Islam und Gewalt halte, bin ich nur Religionswissenschaftler, und äußere mich gar nicht zu meiner religiösen Identität, und bin trotzdem keineswegs wertneutral dabei. Ich wurde aber auch schon mal gefragt, ob ich, der ich ja Mitglied in der Deutschen Buddhistischen Union (DBU) bin, als Vertreter des Buddhismus an einer Podiumsdiskussion über Religion und Gewalt teilnehmen würde. Da sagte ich auch zu und bemühte mich bei aller Sympathie und Teilidentifikation, die ich für den Buddhismus empfinde, um eine sachliche und abgewogene, keineswegs idealisierende Darstellung. Diese sachliche Distanzierung zu meinen eigenen religiösen Vorstellungen habe ich im Studium der Religionswissenschaft gelernt, und denke, dass ich so auch den Dialogpartnern, die andere Berufe gelernt haben, darin Vorbild sein kann. Ehrlichkeit und Aufrichtigkeit sind ja doch in allen Religionen, mit deren Vertretern ich bisher persönlich zu tun hatte, hohe Werte, zumindest theoretisch. Manchmal hapert es aber an der nötigen Ehrlichkeit sich selbst und den andersgläubigen Gesprächspartnern gegenüber und man will das eigene Nest nicht beschmutzen indem man zugibt, dass auch in der eigenen Religion nicht alles so ideal ist, wie es sein sollte. Wir Religionswissenschaftler können gerade durch unsere fachliche Kompetenz und die uns eigene methodische Reflexion und Selbstrelativierung unser eigenen religiösen oder weltanschaulichen Überzeugung sehr Wertvolles zum interreligiösen Dialog beitragen.


Fußnoten:
Fn1: Die Tagung fand vom 5. bis zum 9. Juli 2003 in Graz statt, veranstaltet vom Friedensbüro der Stadt Graz und der Stadt Sarajevo unter Mitbeteiligung von WCRP Europa. Die Projektergebnisse sollen ab September 2003 im Internet veröffentlicht werden. Vgl. http://www.friedensbuero-graz.at/
Fn2: Vgl. Johannes Rau. Dialog der Kulturen – Kultur des Dialogs. Toleranz statt Beliebigkeit. Freiburg, Basel, Wien (Herder) 2002.
Fn3: Vgl. dazu auch Rainer Flasche. Die Religionswissenschaft Joachim Wachs. Berlin, New York (Walter de Gruyter) 1978, S. 299ff.
Fn4: Vgl. Raimon Panikkar. Der neue religiöse Weg. Im Dialog der Religionen leben. München (Kösel) 1990.
Fn5: Dieser Ansatz wird außer von Peter Antes auch von Klaus Hock vertreten. Vgl. Klaus Hock. Einführung in die Religionswissenschaft. Darmstadt (Wissenschaftliche Buchgesellschaft) 2002, S. 179.
Fn6: Vgl. dazu die Satzung des Vereins zur Förderung der Begegnung der Weltreligionen und des interkulturellen Gesprächs e.V., eingetragen in Hildesheim am 27. Juni 1997.
Fn7: Ich berufe mich auf Gespräche mit Peter Antes während der REMID-Tagung „Religionen: konkret. Religionsforschung in Deutschland: Konzepte - Ziele - Perspektiven“ vom 13.-15.6.2003 in Leipzig, sowie auf einen Austausch per Post und E-Mail während des Jahres 2003.
Fn8: Zur WCRP vgl. deren Homepage http://www.wcrp.org für die internationale und http://www.wcrp.de für die deutsche Ebene.
Fn9: Vgl. Norbert Klaes. Erfahrungen in der „Weltkonferenz der Religionen für den Frieden“ (WCRP). In: Anton Peter (Hrsg.). Christlicher Glaube in multireligiöser Gesellschaft. Erfahrungen, Theologische Reflexionen, Missionarische Perspektiven. Immensee (Neue Zeitschrift für Missionswissenschaft) 1996, S. 91-108. – Desweiteren berufe ich mich auf Gespräche mit Norbert Klaes während der o.g. Tagung des Projekts Interreligiöses Europa vom 5.-10. Juli 2003 in Graz und einen postalischen Austausch.
Fn10: Die Zeitschrift erschien von 1991 bis 1998 zweimal jährlich im Christian Kaiser Verlag. Vgl. auch Michael A. Schmiedel. Vom Ende einer Zeitschrift. Dialog der Religionen wurde nach acht Jahren eingestellt. In: Sakrament & Sakrileg, Zeitschrift der Fachschaft Vergleichende Religionswissenschaft der Universität Bonn, Nr. 5, Januar 1999, S. 18f., im Internet lesbar unter http://www.fs-rewi.uni-bonn.de/ss/ss5a8.htm.
Fn11: Michael von Brück und Whalen Lai. Buddhismus und Christentum. Geschichte, Konfrontation, Dialog. München (C.H. Beck) 1997 o. 22000.
Fn12: Ich berufe mich auf einen E-Mail-Austausch mit Michael von Brück vom April und Juni 2003.
Fn13: Vgl. Udo Tworuschka. Nachwort zu Gustav Mensching: Der Irrtum in der Religion, Heidelberg 1969. In: Gustav Mensching. Der Irrtum in der Religion. Eine Einführung in die Phänomenologie des Irrtums. Nordhausen, (Bautz) 2003. Ders. Selbstverständnis, Methoden und Aufgaben der Religionswissenschaft und ihr Verhältnis zur Theologie. In: Udo Tworuschka (Hrsg.), Religionswissenschaft in Jena. Jena 2003, S. 20-42. Desweiteren berufe ich mich auf eine E-Mail-Korrespondenz mit Udo Tworuschka von April bis August 2003, in dessen Rahmen er mir auch einen Teil des Vortragstextes, den er anläßlich der Verleihung der Honorarprofessur für Dr. Herbert Schultze an der Universität Duisburg-Essen am 23. Juni 2003 gehalten hat und einen autobiographischen Text über seinen Weg zur Religionswissenschaft, der im Oktober 2003 im Böhlau-Verlag erscheinenden Festschrift für Michael Klöcker mitgeschickt hat. Internet-Adresse von INTR°A: http://www.interrel.de.
Fn14: Wolfgang Gantke ist einer meiner religionswissenschaftlichen Lehrer in Bonn, und im Laufe der Jahre habe ich so viele Veranstaltungen bei ihm besucht und so viele Gespräche mit ihm geführt, so dass es schwer fällt, sich auf einen bestimmten Zeitraum oder eine bestimmte Korrespondenz zu berufen. Extra erwähnen möchte ich aber seinen im Rahmen der von Heinz Robert Schlette u.a. veranstalteten öffentlichen Vortragsreihe neben dem rathaus am 26. März 2003 gehaltenen Vortrag Dialog der Religionen – eine Illusion?, dessen Manuskript mir Wolfgang Gantke überlassen hat.
Fn15: Wenn ich die weibliche Form bisher weg gelassen habe, dann nur der besseren Lesbarkeit wegen. Ich meine mit „Religionswissenschaftler“ immer Männer und Frauen unseres Faches.
Fn16: Das schreibe ich nach der Lektüre von Bretislav Horynas Beitrag zu diesem Tagungsband, der mehr von der Religionswissenschaft und ihrer wissenschaftstheoretischen Seite her denkt.
Fn17: Wir haben eine einzelne Seite im Internet: http://www.maennerrock.de/WCRP-Koeln-Bonn/wcrp.html bzw. http://www.wcrp-koeln-bonn.de.vu.